Das Rittergut Oberzetzscha und seine Geschichte nach 1945 waren Thema eines Zeitzeugengesprächs im Rahmen des Projekts “Fliegender Salon” im Altenburger Land. Die Zeit nach 1945 mit Flucht, Vertreibung und Bodenreform auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zählt zu den tiefgreifendstens Veränderungen der neueren Geschichte. Noch heute gibt es Menschen, die diese Zeit miterlebt haben und ihre Erinnerungen mit Nachgeborenen teilen können. Im Zeitzeugensalon am Nachmittag des 10. Oktober 2020 wurden solche Erinnerungen miteinander geteilt und in einer Broschüre zusammengefasst. Moderiert hat die Veranstaltung die Journalistin Blanka Weber.

Zwei ältere Herren und zwei ältere Damen, die Damen halten jeweils eine Broschüre
Die Zeitzeugen Manfred Tunk, Christine Cyrus, Elfriede Külbel und Erhard Grünberg mit der fertigen Broschüre. (Foto: Jörg Neumerkel)

Geschichte aus Sicht von Zeitzeugen besteht nicht nur aus bloßen Zahlen und Fakten. Sie ist immer persönlich und berührend, wenn man sich auf sie einlässt. Aus ihrer Kindheit in Oberzetzscha erzählte Christine Cyrus, 1940 als Christine Ritter geboren. Mit ihrer Familie lebte sie im Herrenhaus des Ritterguts – bis der Zweite Weltkrieg kam und mit ihm die Flüchtlinge, manch ein sonderbarer Eisenbahnwaggon und zuletzt die Verhaftung und Erschießung ihres Vaters Erich Ritter (1905–1946). Was in der DDR tabu war, arbeitete der Zeitzeugensalon in vier Abschnitten auf. Neben Christine Cyrus gehörten Gertrud Dalpra, Erhard Grünberg, Elfriede Külbel, Brigitte Meuschke, Lothar Tieg, Manfred Tunk und Magdalena Werner zu den Gesprächspartnern des Zeitzeugensalons in Oberzetzscha. Auch die Zuhörerinnen und Zuhörer brachten sich und ihre persönlichen Erinnerungen ins Gespräch ein.

Aus den Erzählungen geht deutlich hervor, dass gerade das alte Rittergutsgebäude Zentrum des Ortslebens und der gemeinsamen Erinnerungen ist. Oder wie es Erhard Grünberg ausdrückte: “das Herz und die Quelle der weiteren kulturellen Entwicklung in der Ortschaft”.

Die Broschüre zum Zeitzeugensalon als Download:

Das von der Moderatorin geleitete Gespräch wurde mitgeschnitten, verschriftlicht und nach redaktioneller Bearbeitung als künftige Quelle gesichert. Hier können Sie die so entstandene Broschüre lesen und herunterladen:


Infobox: Was ist der “Fliegende Salon”?

Der Fliegende Salon möchte neue Aktivitäten entwickeln, um Begegnung und Austausch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern im Altenburger Land anzuregen. Das Projekt wird gefördert in TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, sowie durch die Thüringer Staatskanzlei. Partner des “Fliegenden Salons” sind der Landkreis und mit ihm die vier Kultureinrichtungen Lindenau-Museum Altenburg, Museum Burg Posterstein, Musikschule Altenburger Land sowie das Theater Altenburg-Gera.

Infobox: Was ist ein Zeitzeugensalon?

Unter Federführung des Museums Burg Posterstein entstand der Zeitzeugensalon als eine Form des Fliegenden Salons. In einer moderierten Gesprächsrunde kommen Zeitzeugen zusammen und teilen ihre persönlichen Erinnerungen zu einer prägnanten Begebenheit. Zu den Aufgaben eines regionalgeschichtlichen Museum zählt es auch, Geschichte und Erinnerungen zu bewahren. Im Format des Zeitzeugensalons entstehen nicht nur neue Netzwerke zwischen Museumsteam und Bevölkerung, sondern die Menschen selbst kommen ihrer Geschichte auf die Spur.


Unruhige Zeiten auf dem Rittergut Oberzetzscha

Für den Zeitzeugensalon fasste Franziska Huberty die Geschichte des Rittergut Oberzetzscha zusammen. Die Historie reicht bis ins Mittelalter zurück: Denn zwischen 1206 und 1227 taucht der Ort erstmals in historischen Urkunden auf. Das heute noch vorhandene Herrenhaus stammt aus dem Jahr 1567. Im Lauf der Zeit entstand ein florierendes Rittergut mit Mühle, Brauhaus und Schenke, Badestube und den Privilegen der Koppeljagd, der Fischerei und des Krebsfangs. Um 1800 umfasste das Rittergut Oberzetzscha laut dem Original-Vermessungsregister 28 Hektar Land bei einer Gesamtflurgröße von 75 Hektar. Viele der alten Gebäude wurden nach 1800 abgerissen, das Gut rundum erneuert.1857 besaß das Rittergut eine Größe von 43 Hektar, einschließlich der Ziegelei und Torfgruben. Bis 1938 wuchs die Größe des Guts noch einmal auf 57 Hektar Land an.

Das Herrenhaus Oberzetzscha hat einen wellenförmigen Giebel und ist weiß verputzt mit grauen Eckquaderungen.
Das Herrenhaus Oberzetzscha konnte 2012 saniert werden. (Foto: Jörg Neumerkel)

Der damalige Rittergutsbesitzer Erich Ritter wurde 1946 von sowjetischen Offizieren verhaftet, zum Verhör nach Weimar überstellt, verurteilt und erschossen. Das Gut wurde nicht enteignet, weshalb es Lieselotte Ritter, geborene Meyner, noch bis 1958 weiterführte. Mit Hilfe des Inspektors Edwin Günther gelang ihr dann die Übersiedlung in die Bundesrepublik. Danach ging der Betrieb in die LPG 4 „IV. Parteitag“ Zschernitzsch über.

Das Herrenhaus Oberzetzscha heute

Die Sanierung des Herrenhauses wurde 2012 abgeschlossen. Alle anderen Gebäude des Rittergut Oberzetzscha wurden 2001 abgerissen. Im Herrenhaus befindet sich heute unter anderem der Sitz des Ortsteilbürgermeisters. Beeindruckend ist die historische Bohlenstube des Hauses, die über wunderschöne Wandmalereien verfügt. Auch in der ehemaligen Hauskapelle konnten aufwendige Wand- und Deckenmalereien mit privaten Spenden, Mitteln des damaligen Fördervereins „Renaissance-Herrenhaus Oberzetzscha“, Fördermitteln des Landes Thüringen und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sowie Eigenmitteln der Stadt Altenburg gesichert und restauriert werden.