In einem Zeitzeugengespräch im Quellenhof Garbisdorf ging es um die Geschichte der Landwirtschaft in und um Garbisdorf nach 1945 – von den traditionellen Bauernhöfen über die LPGs der DDR bis ins Heute.
Der Quellenhof Garbisdorf ist heute dank des rührigen Heimatvereins Göpfersdorf liebevoll saniert und ein Zentrum für Kultur und Kunst. 2019 gelang es zudem, mit finanzieller Förderung durch die Europäische Union und den Freistaat Thüringen im Rahmen der Förderprogramme ELER und LEADER sowie mit Unterstützung des Museums Burg Posterstein, im Quellenhof ein modern konzipiertes Heimatmuseum einzurichten. Ausstellunsgkuratorin Marlene Hofmann beschreibt das Konzept dieses Museums auf ihrer Website.
Schon bei der Arbeit an dieser Ausstellung, die sich vor allem der bäuerlichen Kultur in der Gegend um Garbisdorf und Göpfersdorf widmet, wurde deutlich, dass es bei der Aufarbeitung der neueren landwirtschaftlichen Geschichte Lücken gibt. Gleichzeitig handelt es sich bei der Landwirtschaftsgeschichte nach 1945 um ein sensibles Thema, das jeder anders erlebt hat und von dem viele betroffen waren. Noch gibt es Zeitzeugen, die von ihren persönlichen Erfahrungen aus der Zeit der landwirtschaftlichen Umstrukturierung berichten können. Im Zeitzeugensalon am 17. Oktober 2021, moderiert von der Journalistin Blanka Weber, kamen verschiedene Stimmen zu Wort.
Die Zeitzeugen sprechen über die Landwirtschaft in Garbisdorf nach 1945
Auf dem Podium berichteten nacheinander verschiedene Zeitzeugen von ihren persönlichen Erfahrungen.
Zu Wort kamen: Renate Riedel, aufgewachsen auf einem Vier-Generationen-Hof und 47 Arbeitsjahre in der Landwirtschaft beschäftigt. Joachim Krause, Pfarrerssohn und Heimatforscher, der die Landwirtschaft mit ein bisschen Abstand von außen betrachtet und das oft beschriebene Idyll des Bauernhofs hinterfragt. Ariane Petzold, die sich einen differenzierteren Blick auf die DDR-Jahre wünscht. Bürgermeister Klaus Börngen, der die Entwicklung der Dörfer schon seit den 1970er Jahren als Gemeinderatsmitglied begleitete. Der promovierte Landwirt Fritz Schumann, der als ehemaliges Bundestagsmitglied und früherer Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt beste Einblicke in die Landwirtschaftspolitik hat. Roland Graichen, dessen Vater im Krieg fiel und der früh den familiären Hof übernehmen musste. Dieter Werrmann, der eigentlich nicht in die Landwirtschaft wollte und dann Geschäftsführer der Agrar GmbH Ziegelheim wurde. Ortschronist Stefan Petzold, dem die Erhaltung der Höfe und die Bewahrung ihrer Geschichte am Herzen liegt. Arpid Petzold, den früheren Produktionsleiter in der LPG, beschäftigt heute die Frage, wohin sich die Landwirtschaft in Zukunft entwickeln wird. Und: Lothar Wagner, der selbst auf einem Bauernhof aufwuchs und an einem Buch über die Umbrüche in der Vergangenheit schreibt.
Landwirtschaft in Garbisdorf nach 1945: Die Broschüre zum Zeitzeugensalon als Download:
Die von der Moderatorin geleiteten Gespräche wurde mitgeschnitten, verschriftlicht und nach redaktioneller Bearbeitung als künftige Quelle gesichert. Hier können Sie die so entstandene Broschüre lesen und herunterladen:
Infobox: Was ist der “Fliegende Salon”?
Der Fliegende Salon möchte neue Aktivitäten entwickeln, um Begegnung und Austausch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern im Altenburger Land anzuregen. Das Projekt wird gefördert in TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, sowie durch die Thüringer Staatskanzlei. Partner des “Fliegenden Salons” sind der Landkreis und mit ihm die vier Kultureinrichtungen Lindenau-Museum Altenburg, Museum Burg Posterstein, Musikschule Altenburger Land sowie das Theater Altenburg-Gera.
Infobox: Was ist ein Zeitzeugensalon?
Unter Federführung des Museums Burg Posterstein entstand der Zeitzeugensalon als eine Form des Fliegenden Salons. In einer moderierten Gesprächsrunde kommen Zeitzeugen zusammen und teilen ihre persönlichen Erinnerungen zu einer prägnanten Begebenheit. Zu den Aufgaben eines regionalgeschichtlichen Museum zählt es auch, Geschichte und Erinnerungen zu bewahren. Im Format des Zeitzeugensalons entstehen nicht nur neue Netzwerke zwischen Museumsteam und Bevölkerung, sondern die Menschen selbst kommen ihrer Geschichte auf die Spur.
Die Geschichte Landwirtschaft in Garbisdorf nach 1945
Die Landwirtschaft prägte die Dörfer Garbisdorf und Göpfersdorf über Jahrhunderte. Im Zuge der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone 1945/46 kam es zu großen Einschnitten und Veränderungen. Großbauern mit Besitz über 100 Hektar sowie „Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher“ wurden ohne Entschädigung enteignet.
Rund 3,3 Millionen Hektar Äcker, Wälder und Wiesen gingen an Landarbeiter, Kleinbauern, Flüchtlinge und Umsiedler (so genannte „Neubauern). Den Rest erhielten neugegründete Staatsbetriebe, die „Volkseigenen Güter“ (VEG). 35 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen wurde so neu verteilt. Oft waren die umverteilten Landstücke nur 5-10 Hektar groß und die neuen Eigentümer unerfahren in der Landwirtschaft.
Die Gründung von Genossenschaften
Ab 1952 bestand die Möglichkeit, Genossenschaften zu gründen. Bis Anfang der 1960er Jahre entstanden rund 19.000 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG).
Davon gab es 3 Typen: Typ III – Land und Vieh wurden gemeinsam bewirtschaftet, Typ I – Tierhaltung blieb in Eigenverantwortung, Typ II – spielte praktisch keine Rolle.
Das in die Genossenschaften eingebrachte Land wurde gemeinsam bearbeitet, blieb aber Eigentum der Bauern. Auch Landarbeiter ohne Besitz konnten der LPG beitreten. Anfangs geschah die Bildung der LPG weitgehend freiwillig, wie beispielsweise in Garbisdorf, wo 1952 die LPG Typ III „Neue Heimat“ vor allem durch Umsiedler und Neubauern entstand. 1954 folgte der Zusammenschluss mit der LPG Typ III „Erich Mühsam“ in Göpfersdorf. 1960 wurde die Kollektivierung mit der Bildung der LPG Typ I „Einigkeit“ abgeschlossen. 1965 wurden beide Genossenschaften zur LPG Typ III „Neue Heimat“ verschmolzen.
Die vorhandenen Landmaschinen deckten den Bedarf in den 1950er Jahren nicht und mit der Produktion kam man nicht nach. – In der Folge entstanden Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS), wo Landmaschinen verliehen und gewartet und effektiver genutzt wurden.
In den 1970er Jahren wurden Pflanzen (P)- und Tier (T) produktion immer mehr voneinander getrennt. Daraus entstanden spezialisierte, größere LPG (T) und (P) mit durchschnittlicher Betriebsfläche von 4000 Hektar (1975).
Die LPG (P) Ziegelheim bewirtschaftete einschließlich der Fluren in Garbisdorf und Göpfersdorf über 5.000 Hektar.
Die Tierproduktion in den umliegenden Dörfern lag in den Händen der LPG (T) Jückelberg. In den Folgejahren wurde die Produktion immer weiter effektiviert und ab den 1970ern kamen zur Steigerung der Erträge auch vermehrt chemischer Dünger und Pestizide zum Einsatz.
Die Landwirtschaft nach 1992
Ab 1992 erhielten die Bauern grundsätzlich ihr in die Genossenschaften eingebrachtes Land zurück. Die LPG wurden privatisiert oder in Agrargenossenschaften nach bundesdeutschem Recht umgewandelt. Der Übergang in die Privatwirtschaft, die auf dem Weltmarkt bestehen muss, war ein neuer, einschneidender Umbruch für die hiesige Landwirtschaft.