Vielleicht ist Baum ein hingeschluchztes Wort…
Die lyrische Überschrift stammt aus einem Gedicht (“Tannenfeld”), das man in der Tannenfelder Krankenakte von Rudolf Ditzen, besser bekannt unter seinem Pseudonym Hans Fallada, gefunden hat:
Tannenfeld
Vielleicht ist Park hier nichts so sehr wie Leid,
Vielleicht ist Baum ein hingeschluchztes Wort,
Und jedes Blatt ist einer Schwermut Kleid,
Darinnen Lust wie Leid erstickt verdorrt.
Vielleicht fuhrt jeder Weg zum Irrsinn hin,
Vielleicht ist Teich ein tief erweinter Schmerz,
Und jedes Haus steht stets im Dunkel drin,
Und nichts ist stumm, eh’s nicht zu Boden fällt.
Nur Ding ist tot und dies vielleicht auch nicht,
Es wehrt sich auch und schreit sein tiefstes Leid,
So schreit auch Mensch in Schmerzen jederzeit,
Bis man ihm schließlich dunkle Kränze flicht.
(Rudolf Ditzen – aus der Krankenakte)
Im Januar 1912 wurde Rudolf Ditzen in die „Heilanstalt für Nerven- und Gemütskranke“ in Tannenfeld eingewiesen, zunächst in die geschlossene Abteilung. Hier betreute ihn seine Tante Adelaide („Ada“) und unterrichtete ihn in Sprachen. Er arbeitete hier an Übersetzungen, schrieb Gedichte und beschloss Schriftsteller zu werden. Er konnte dem idyllischen Park rund um das Schloss Tannenfeld, das ehemals der Herzogin Anna Dorothea von Kurland gehörte, offenbar nicht viel abgewinnen. Für ihn war der Klinikaufenthalt wie ein Gefängnis. Im Sommer 1912 schrieb er in einem Brief an seine Tante:
„Ich lebe ziemlich gleichgültig vor mich hin. Ich beschäftige mich viel mit mir selbst, alle anderen sind mir ganz fern. Ich habe nie recht teil an ihnen, selbst an den nächsten Verwandten nicht. Dadurch kommt in mir eine große Gleichgültigkeit gegen alle Menschen auf…“
(Rudolf Ditzen in einem Brief an seine Tante Ada, 10.6.1912)
Wie Rudolf Ditzen nach Tannenfeld kam
Rudolf Ditzen wurde am 21. Juli 1893 als drittes Kind des Landrichters Wilhelm Ditzen und dessen Ehefrau Elisabeth in Greifswald geboren. Er wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf. Als der Vater 1899 ein neues Amt in Berlin übernahm, zog die Familie in die Reichshauptstadt um. Ein erneuter Amtswechsel des Vaters im Jahre 1909 hatte die Übersiedlung der Familie nach Leipzig zur Folge. Von 1901 bis 1911 verbrachte Rudolf Ditzen seine Schulzeit an verschiedenen Gymnasien in Berlin, Leipzig und Rudolstadt. In der Schule galt er als Außenseiter und zog sich immer mehr in sich zurück.
Erstmals ganz auf sich allein gestellt, kam Rudolf Ditzen achtzehnjährig nach Rudolstadt, wo er als Obersekundaner das Fürstliche Gymnasium besuchte. Bei einem Superintendenten wohnte er in Pension. Pubertäre Probleme verstärkten seine Tendenz zur Introversion und Depression, die zu eskalieren drohte. Mit seinem Freund, Hanns Dietrich von Necker, beschloss er, in einem Scheinduell Doppelselbstmord zu begehen. Der Freund starb dabei, Rudolf Ditzen überlebte – was er nie verwinden konnte. Er wurde schwer verletzt, wegen Mordes verhaftet und zunächst in die Psychiatrische Klinik der Universität Jena eingewiesen. Die Mordanklage wurde durch eindeutige Hinweise auf Selbstmordabsichten mit der Zuerkennung des § 51 (Unzurechnungsfähigkeit) fallen gelassen.
1912 bis 1913: Rudolf Ditzen in Tannenfeld
Ab Januar 1912 lebte Rudolf Ditzen in der geschlossenen Abteilung der „Heilanstalt für Nerven- und Gemütskranke“ in Tannenfeld. Er pflegte engen Kontakt zu seiner Tante Adelaide, die er kurz “Ada” nannte. In der abgeschiedenen Umgebung machte er erste schriftstellerische Schritte. Vom Weltgeschehen, Kriegen und gesellschaftlichen Veränderungen blieb das zurückgezogene Leben der Kurgäste im idyllischen Tannenfeld nahezu unberührt.
Posterstein 1913 bis 1915: Der Landwirt Rudolf Ditzen
Auf Empfehlung des Arztes schickte der Vater den gesundeten, aber weltabgewandten Sohn zur Ausbildung in das nahe gelegene Posterstein. Mit dem praktischen Beruf eines Landwirts sollte Rudolf Ditzen das Leben erlernen. Am 1. August 1913 trat er als einer von drei Eleven in das Rittergut Posterstein ein, wo er sich bis 1915 zum Landwirt ausbilden ließ. Er bewährte sich, führte bei Abwesenheit des Gutsherrn Walter Herrmann sogar zeitweise die Geschäftsbücher und erhielt ein erfolgreiches Lehrzeugnis.
Rudolf Ditzen konnte sich in Posterstein ein umfangreiches Wissen in der Kartoffelzüchtung aneignen und machte sich nach seiner Ausbildung bald als Kartoffelexperte mit ausgezeichneten Kenntnissen einen Namen. Doch auch für sein späteres schriftstellerisches Werk nahm er viel aus dem Landleben mit – die einfachen Menschen und die harte Arbeit auf landwirtschaftlichen Gütern boten Inspiration.
Von 1915 bis 1918 arbeitete Rudolf Ditzen auf verschiedenen Gütern – als wissenschaftlicher Assistent, Kassenverwalter und Kartoffelspezialist. Wiederholt litt er jedoch unter Depressionen, denen er zeitweise mit Drogen zu entfliehen suchte. Nachdem er sich bereits 1917 einer Drogenentziehungskur unterzogen hatte, begab er sich zwei Jahre später nochmals in das Tannenfelder Sanatorium.
Buch “Hans Fallada in Tannenfeld und Posterstein”
Das Museum Burg Posterstein veröffentlichte 2023 das Buch “Hans Fallada in Tannenfeld und Posterstein”. Dort sind alle bisher verfügbaren Informationen über diesen Lebensabschnitt Rudolf Ditzens zusammengefasst. Weitere Informationen zum Buch.
Hans Fallada, der Schriftsteller
Mit seinem ersten Roman „Der junge Goedeschal“, der 1920 unter dem Pseudonym Hans Fallada erschien, schlugt Rudolf Ditzen endgültig seinen Weg als Schriftsteller ein. Zunächst parallel zum beruflichen Broterwerb, konnte er ab 1930 freiberuflich arbeiten. Bereits mit seinem zweiten Roman „Anton und Gerda“ (1923) wurde Fallada zum Geheimtipp in Kennerkreisen, mit „Bauern Bonzen und Bomben“ (1931) in Deutschland bekannt. „Kleiner Mann was nun“ (1932) wird zum Welterfolg. Zunehmend geriet Rudolf Ditzen jedoch in die Drogenabhängigkeit und damit in die Lage, sich auch auf illegalem Wege das dafür notwendige Geld beschaffen zu müssen, was nicht unentdeckt blieb und entsprechend mit Gefängnisstrafen geahndet wurde. Fallada verarbeitete seine Gefängniszeit in dem Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ (1934).
Mit dem Kauf eines alten Gutshauses in Carwitz/ Mecklenburg zogen sich der Schriftsteller und seine junge Familie später in die lang ersehnte Idylle zurück, die er so dringend zum Schreiben brauchte. Dort befindet sich heute das Hans Fallada Museum. Er schrieb leidenschaftlich, oft bis zur Erschöpfung, die er zeitweise mit Alkohol und Drogen zu überwinden suchte, bis er sich mit Entziehungskuren in verschiedene Kliniken rettete – im wiederkehrenden Kreislauf. Gezeichnet von diesem Leben, das seit jeher von Höhen und Tiefen begleitet war, starb Hans Fallada 1947 in Berlin.
Tannenfeld: Wie das Lustschloss der Herzogin von Kurland zur Heilanstalt wurde
1899 erwarb der Nervenarzt Dr. Arthur Tecklenburg das Anwesen von den kurländischen Erben. In Tannenfeld wurde das Schloss saniert und umgebaut, das Gelände um Wirtschaftsgebäude und Kurhäuser erweitert sowie der großzügige Park rekultiviert. Haus Tannegg entstand durch den Umbau des ehemaligen Herrenhauses. 1901 baute man die Villa Waldegg, ausgestattet mit elektrischem Licht, Dampfheizung, WC und Waschbecken, sowie ein Brunnenhaus zwischen Schloss und Haus Tannegg. Drei Jahre später errichtete man östlich vom Schloss ein neues Gartenhaus und eine Liegehalle. 1906/07 entstand die Villa Talgg und letztlich 1910 die Villa Brunneck. Um 1911 wurde schließlich ein Erweiterungsbau am Schloss ausgeführt und das Gebäude im Inneren im Jugendstil ausgestattet. Damit war ein modernes Sanatorium für Gemüts- und Nervenkranke des gehobenen Mittelstandes entstanden.
1949 wechselte das Sanatorium in den Besitz der Sozialversicherungsanstalt Thüringen. Bis etwa 1985 wurden hier Patienten im eigenständigen Krankenhausbetrieb und bis 1989 in der Rehabilitationsabteilung des Krankenhauses Schmölln betreut. Danach war Tannenfeld bis September 2004 Alten- und Pflegeheim des Landkreises.
Schloss Tannenfeld heute
Jetzt gehören der Park und die Gebäude einer regionalen Investorengruppe, der Tannenfeld GmbH. Mit einer modernen Pflegeeinrichtung für an Demenz oder anderen psychischen Erkrankungen leidenden Patienten soll mit Rücksicht auf die historische Parkanlage an die Geschichte des Ortes angeknüpft werden.